Um es vorweg zu nehmen: Ja, man kann! Und zwar mithilfe von Neuroleadership. Neuroleadership ist für mich eines der interessantesten Themen im Führungskontext, da es für mich die beiden spannenden Bereiche Führung und Neurowissenschaften verbindet. Es geht um Menschen und Menschlichkeit, darum, Verhalten zu verstehen und faktische Erkenntnisse, wie das „Gehirn tickt“, nutzbar zu machen. In diesem Artikel will ich ein paar der Erkenntnisse mit Euch teilen. Viel Spaß beim Lesen! 🙂
Was genau ist Neuroleadership?
Wie eben angeschnitten: Neuroleadership dient dazu, die Arbeitsweise unseres Gehirns transparent und nutzbar zu machen. Die Erkenntnisse der Hirnforschung werden auf den Führungskontext übertragen, um schließlich in der Praxis die intrinsische Motivation der „Geführten“ zu erhöhen. Letztlich schärft Neuroleadership also das Bewusstsein über die Funktionsweise des Gehirns und kann als hilfreiches Werkzeug zur Führung von Mitarbeitern dienen. Im Rahmen der Forschung über Neuroleadership haben sich drei unterschiedliche Ansätze herausgebildet. In diesem Artikel möchte ich mich lediglich auf einen der Ansätze fokussieren, anstatt alle drei Ansätze nur an der Oberfläche zu behandeln. Die anderen Ansätze folgen dann in einem späteren Artikel.
Der Ansatz von Christian E. Elger
Christian E. Elger ist ein deutscher Neurologe sowie Epileptologe und Direktor der Klinik für Epileptologie. In seiner Forschung zum Thema Neuroleadership fokussierte er sich auf vier Systeme des menschlichen Gehirns: das Belohnungssystem, das emotionale System, das Gedächtnissystem sowie das Entscheidungssystem. Seinen Schwerpunkt legt er dabei auf die Bedeutung des Belohnungssystems, das bei einer Übererfüllung von Erwartungen Dopamin ausschüttet. Diese Dopaminausschüttung kann als Instrument zur Motivationssteigerung genutzt werden, indem die Erwartungen der Mitarbeiter übererfüllt werden und so einen Anreiz auf erneute Aktivierung des Belohnungssystems geschaffen wird. Ergo soll das Belohnungssystem möglichst häufig aktiviert werden, um diesen Motivationseffekt zu erzielen. Elger definierte sieben Grundregeln, die als Leitlinie für das Neuroleadership dienen sollen. Ich möchte im Nachfolgenden näher auf diese Prinzipien eingehen.
1. Das Belohnungssystem ist die zentrale Schaltstelle.
- Was ist gemeint? Wir streben immer eine Aktivierung des Belohnungssystems an. Es motiviert uns; es macht uns zufrieden und trägt sogar dazu bei unser Erinnerungs- und Lernvermögen zu steigern.
- Wie können Führungskräfte diese Erkenntnis nutzen? Grundsätzlich gilt, auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu achten. Aufmerksam zu sein. Führungskräfte müssen jeden Mitarbeiter als Individuum kennenlernen und verstehen, was für den einzelnen die stärkste Belohnungswirkung hat. Wichtig an dieser Stelle ist zunächst die Erkenntnis, dass die Belohnung in jeglicher Art- umso individueller, umso besser (siehe 4.)- ein überaus wichtiger Hebel zur Motivation ist.
2. Das Ultimatumspiel gilt überall.
- Was ist gemeint? Das Ultimatumspiel ist eine Anwendung aus der Spieltheorie, die zur Erkenntnis geführt hat, dass das Streben nach Fairness und Gleichbehandlung den rationalen Verstand lahmlegt. Mit der zweiten Grundregel meint Elger demnach, dass wir immer und überall fair behandelt werden möchten.
- Wie können Führungskräfte diese Erkenntnis nutzen? Alle Mitarbeiter sollten gleich behandelt, niemand bevorzugt werden. Ein Mitarbeiter sollte nie das Gefühl haben, dass er benachteiligt oder ungerecht behandelt wird. Aber nicht nur Fairness unter den Mitarbeitern sollte gewährleistet bleiben, sondern auch in Bezug auf die Führungskraft selbst. Kommt die Führungskraft beispielsweise immer zu spät, erwartet aber von ihren Mitarbeitern Pünktlichkeit, entsteht bei diesen ein Gefühl von Ungerechtigkeit. Ganz davon abgesehen, dass auch die Authentizität darunter leidet. Also: „Live what you pray“! Immer als positives Vorbild voran gehen und fair bleiben.
3. Vorabinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten.
- Was ist gemeint? Unser Gehirn versucht ständig Informationen vorauszusehen, um optimal reagieren zu können. Deshalb orientiert es sich häufig an Erlebnissen aus der Vergangenheit. Erhält ein Mitarbeiter Vorabinformationen, fühlt er sich besser auf die Situation vorbereitet, was wiederum dazu führt, dass das Belohnungssystem aktiviert wird.
- Wie können Führungskräfte diese Erkenntnis nutzen? Diese Tatsache kann auf zwei Ebenen genutzt werden. Beginnt eine Führungskraft ihre Position, sollte sie im besten Fall dafür sorgen, dass vorher positiv über sie berichtet wurde; So sind die Mitarbeiter von vornherein wohlgesonnen. In der Führungsrolle selbst sollten die Führungskraft ihre Mitarbeiter stets auf dem Laufenden halten und über bevorstehendes informieren.
4. Jedes Gehirn ist anders.
- Was ist gemeint? „Komplexität und Plastizität macht jedes Gehirn anders“. Unsere Erfahrungen sorgen im Gehirn dafür, dass sich unsere Nervenzellen entsprechend bilden. Da von jedem Menschen die Wahrnehmung und Erfahrung individuell ist, führt sie auch zu unterschiedlichen Verschaltungen, ergo zu anderen Fähigkeiten und Kenntnissen eines jeden Menschen. Jeder Mitarbeiter wird demnach auf bestimmte Situationen unterschiedlich reagieren, genauso wie er sich durch unterschiedliche Dinge motivieren lässt (siehe 1.).
- Wie können Führungskräfte diese Erkenntnis nutzen? Empathiefähigkeit ist hier das A und O. Es ist wichtig, jeden Mitarbeiter individuell zu verstehen und sich in ihn hineinzuversetzen. Die Führungskraft sollte immer versuchen, die Sichtweise des Mitarbeiters nachzuvollziehen. Das gilt, wie bereits erwähnt, ebenso für die Motivation. Wen genau was am meisten motiviert ist so unterschiedlich, wie der Mensch selbst. Während der eine sich durch Geld motivieren lässt, legt ein anderer Wert auf persönliche Weiterbildung und ein Dritter auf Wertschätzung.
5. Es gibt keine Fakten ohne Emotionen.
- Was ist gemeint? Alle eingehenden faktischen Informationen werden automatisch vom Gehirn bewertet und mit Emotionen verknüpft. Emotionen sind die unbewusste Bewertung der Amygdala auf einen Reiz, die anschließend eine Reaktion verursacht. Auch wenn Kognition und Emotion nicht zusammenarbeiten, sind sie eng miteinander verknüpft und stehen in Wechselwirkung. So wie faktische Informationen Emotionen erzeugen, werden aber auch aus Emotionen Fakten abgeleitet. Ein Beispiel hierfür: Ein Mitarbeiter wird für einen Fehler zur Rede gestellt, bei denen mehrere Personen beteiligt waren. Emotion: Er fühlt sich persönlich angegriffen und herabgewertet. Interpretation könnte sein, dass die Führungskraft es auf „ihn abgesehen hat“. Dieser Fakt wird seine Realität, auch wenn der Mitarbeiter willkürlich ausgewählt wurde.
- Wie können Führungskräfte diese Erkenntnis nutzen? Menschen bzw. Mitarbeiter nehmen laut dieser Theorie etwas als Fakt wahr, das letztlich nicht zwingend ein Fakt ist. Die Führungskraft sollte deshalb auf die emotionale Reaktion der Mitarbeiter achten. Die Bedeutung der Kommunikation ergibt sich aus der Reaktion des Gegenübers, nicht aus der Absicht des Senders. Die Emotionen, die ein Vorgesetzter bei seinen Mitarbeitern erzeugt, wird sich immer, bewusst oder unbewusst, auf die Beziehung auswirken.
6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten.
- Was ist gemeint? Erfahrungen werden im Unterbewusstsein gespeichert. Dieses Wissen ist immer schneller verfügbar als bewusste Überlegungen. Unser Unbewusstes steuert demnach unsere Handlungen über abgespeicherte Verhaltensmuster, noch bevor wir logisch darüber nachdenken können. Dazu kommt, dass wir versuchen, Ungewissheit zu vermeiden und uns deshalb nur allzu häufig auch bewusst an Vergangenes klammern.
- Wie können Führungskräfte diese Erkenntnis nutzen? Wie schon erwähnt, wird Ungewisses vermieden und bereits Bekanntes – Erfahrungswerte- bevorzugt. Dies erschwert häufig die Offenheit gegenüber Veränderungen. Das ist keine „Entschuldigung“ für Change-Resistenz, erklärt allerdings, weshalb viele Mitarbeiter Neuem gegenüber nicht immer aufgeschlossen sind. Ein Vorgesetzter sollte dafür sensibilisiert sein, dass Reaktionen der Mitarbeiter häufig nicht böswillig sind, sondern sich aus vergangenen Erfahrungen ergeben. Auch an dieser Stelle: Communication is key. Vor allem bei Veränderungsprozessen sollten die Führungskräfte verständnisvoll sein, auf die Mitarbeiter eingehen und sie bestmöglich unterstützen.
7. Situationen können eine nicht vorhersagbare Eigendynamik entwickeln.
- Was ist gemeint? Das Gehirn bewertet Situationen durch Erfahrungen und Erlebnisse aus der Vergangenheit. Diese rufen Emotionen hervor, die wiederum die Reaktion bestimmen. Wenn eine Situation ein negatives Erlebnis aus der Vergangenheit triggert, kann dies unvorhersehbar emotionale Reaktionen zur Folge haben und „außer Kontrolle“ geraten. Dasselbe gilt für Gruppensituationen. Je mehr Menschen beteiligt sind, desto unvorhersehbarer kann sich die Lage entwickeln.
- Wie können Führungskräfte diese Erkenntnis nutzen? Wenn ein Mitarbeiter plötzlich emotionaler reagiert als erwartet, wurde vermutlich eine (negative) Situation aus der Vergangenheit getriggert. Der Vorgesetzte sollte die Situation erstmal „auf sich beruhen lassen“ uns zu einem späteren Zeitpunkt erneut das Gespräch suchen. Aber auch Meetings und Gruppendiskussionen können eine Eigendynamik annehmen. Hier sollte die Führungskraft das Gespräch kontrollieren und im Zweifel die Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche lenken.